Bild: Ein lebendig Begrabener (L’inhumation précipitée) Antoine Joseph Wiertz, 1854 (gemeinfrei)
Das moderne medizinische Knowhow im Zusammenwirken mit unserem Sprengelarzt-System verhindern es eigentlich, dass Menschen zu früh zur Bestattung freigegeben und lebendig im Feuer oder im Grab landen, die Angst vor dem Scheintod gibt es heute aber immer noch. Der Scheintod oder die Vita Minima wird im Pschyrembel als „Zustand tiefer Bewusstlosigkeit mit klinisch nicht oder kaum nachweisbaren Lebenszeichen, jedoch ohne sichere Todeszeichen“ defininiert.
Dass der Tod nicht eindeutig festgestellt werden kann, ist zwar Geschichte, dennoch kannten die Ärzte lange Zeit keine „sicheren Todeszeichen“. Noch 1905 trug William Tebb, der Gründer der „Londoner Gesellschaft zur Verhinderung der vorzeitigen Beerdigung“ eine beträchtliche Anzahl angeblicher Scheintod-Vorfälle zusammen: In 219 Fällen konnte eine Lebendbeerdigung gerade noch verhindert werden,149 Menschen wurden laut seinem Bericht tatsächlich lebendig unter die Erde gebracht,10 Personen wurden am lebendigen Leib obduziert und 2 einbalsamiert. Ob diese Auflistung der Realität entsprach, ist nicht geklärt, aber sie kann einen Laien schon in Angst und Schrecken versetzen und zeigt, wie groß die Panik zur damaligen Zeit war. Ganz unbegründet war sie auch wirklich nicht, denn ein realistisches Verständnis der Funktionen des menschlichen Körpers bildete sich in der Medizin erst allmählich seit dem Beginn der Aufklärung heraus. Lange Zeit stellten auch nicht Mediziner, sondern Priester den Tod eines Menschen fest und da konnte schon mal was schief gehen, denn diese schauten aus Angst vor Ansteckung oder dem „Leichengift“ oft nicht sehr genau hin und hatten natürlich auch wenig Ahnung. Aber auch Ärzte konnten nur mithilfe von Pulskontrolle und nicht feststellbarer Atmung überprüfen, ob ein Mensch noch lebt oder tot ist:
Da wurde etwa mithilfe eines Spiegels vor dem Mund überprüft, ob er sich beschlägt (wurde in den 1980er Jahren noch im Erste-Hilfe-Kurs als Überprüfungsmethode gelehrt!) oder man schaute, ob eine Kerze vor den Nasenlöchern zu flackern beginnt, man reizte die Nase mit Federn oder stellte ein Glas mit Wasser auf die Brust, um zu sehen, ob das Wasser sich im Falle leichter Atmung bewegt. Glühende Eisen auf Fußsohlen oder Nadeln, die man in die Sohle stach, kamen ebenfalls zum Einsatz. Und bei so manchem war die Angst vor dem Lebendigbegrabenwerden so groß, dass er verfügte, im Falle seines Todes die Pulsadern zu öffnen, wie zum Beispiel Alfred Nobel, den so genannten Herzstich vorzunehmen, wie bei Johann Nestroy und Arthur Schnitzler, oder aber mit der Beisetzung so lange zu warten, bis augenscheinlich Verwesung einsetzte. Dies verfügte etwa Arthur Schopenhauer. Auch Hans Christian Andersen, Fjodor Dostojewski, Fryderyk Chopin, Edgar Allan Poe und George Washington fürchteten sich vor dem Scheintod.
In manchen Gegenden wurden Tote in offenen Särgen und Gräbern eine Zeit lang liegen gelassen bevor man den Sarg und dann das Grab schloss. Eine Leiter sollte bis dahin dabei helfen, rechtzeitig aus dem Grab zu entkommen falls man wieder aufwachen sollte. Und im 19. Jahrhundert kam es zur Anmeldung einiger Patente wie dem Sicherheitssarg mit Luftzufuhr und aufwändiger Klingelvorrichtungen für Leichenhallen und Gräber. "Ob Erwachsener oder Kind, jeder der fünfzig leblosen Körper trug einen Ring an einem Finger; und von diesem Ring aus führte ein Draht zur Saaldecke und von dort aus weiter zu einem Glöckchen in einem angrenzenden Raum. Dort saß Tag und Nacht ein aufmerksamer Totenwächter, um all sogleich aufzuspringen und jedwedem aus dieser bleichen Gesellschaft zu Hilfe zu eilen, der womöglich aus dem Reich der Toten erwachte und wieder zur geringsten Regung fähig war - denn es genügte die kleinste Andeutung einer Regung, um diesen Draht und dieses schauerliche Glöckchen auszulösen“, berichtet etwa Mark Twain über seinen Besuch einer Leichenhalle in München.
Noch heute ist die Angst lebendig bestattet zu werden weit verbreitet. Grund dazu hat man allerdings wirklich keinen mehr:
Wenn ein Mensch verstorben ist, muss nach dem Gesetz umgehend der Sprengelarzt - in Innsbruck der Amtsarzt - verständigt werden und zwar auch dann, wenn ein Notarzt die Reanimationsmaßnahmen abbricht und den Tod bereits feststellt hat. Der Sprengelarzt bzw. Amtsarzt ist Kontrollorgan und hat die Aufgabe durch die Totenbeschau noch einmal zu überprüfen, ob der Tod sicher eingetreten ist und den Tod amtlich zu bescheinigen. Er gibt den Verstorbenen dann entweder zur Bestattung frei oder veranlasst bei unklarer Todesursache eine Obduktion. Vorher dürfen wir BestatterInnen den Verstorbenen gar nicht abholen. Amts- bzw. SprengelärztInnen kommen grundsätzlich erst einige Stunden nachdem sie verständigt wurden zur „Beschau“, da die sogenannten sicheren Todeszeichen erst zeitverzögert nach dem Versterben eintreten. Für die sichere Feststellung des Todes muss mindestens ein sicheres Todeszeichen vorhanden sein. Sichere Todeszeichen sind Leichenstarre, Totenflecken, Verwesung oder mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen. Kälte, fehlende Atmung, fehlender Puls, Blässe, fehlende Reflexe etc. sind keine sicheren Todeszeichen!
Auch wir Bestatter und Bestatterinnen werden ausgebildet, die sicheren Todeszeichen zu erkennen und sind während der Tätigkeit des Einbettens in den Sarg angehalten, sich vom Vorhandensein dieser sicheren Todeszeichen zu überzeugen. Weiters sind wir verpflichtet, jegliche Auffälligkeiten umgehend an die entsprechenden Stellen zu melden. Ein Innsbrucker Gerichtsmediziner hat einmal gesagt: Lebendig in einem Sarg zu landen, das ist heutzutage so wahrscheinlich wie drei Lottosechser hintereinander. Also: Keine Angst!
Quellen: www.pschyrembel.de.
Lebendig begraben? Bitte bimmeln https://www.spiegel.de/geschichte/ideen-gegen-den-scheintod-die-urangst-lebendig-begraben-zu-werden-a-1129244.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Scheintod