Gerne laden wir Familien ein, ihre Haustiere zum Abschied am offenen Sarg mitzubringen. Haustiere sind Familienmitglieder und als solche ist es für uns selbstverständlich, auch ihnen eine Chance zu geben, sich zu verabschieden. Jetzt ist es nicht so, dass Angehörige mit ihren Hamsterkäfigen und Goldfisch-Gläsern unterm Arm bei uns anrücken, auch Katzen hatten wir noch nie bei uns zu Besuch (außer den rot getigerten Kater, der lange Zeit bei uns herumstreunte, aber das ist eine andere Geschichte). Hunde haben wir hingegen häufig bei uns zu Gast. Dass Menschen einen Abschied von ihren Verstorbenen brauchen, um den Tod realisieren und den Trauerprozess in Gang setzen zu können, das ist mittlerweile psychologisch gut belegt. Aber Hunde? Brauchen Hunde den Abschied auch und können Hunde überhaupt trauern?
Was wir bei unseren „Abschieden mit Hund“ feststellen, ist zunächst einmal ernüchternd: Der Hund erkennt die verstorbene Person – selbst wenn es sein eigener Besitzer ist - nicht. Der Geruch des Körpers und die Körpertemperatur des Verstorbenen scheinen sich so verändert zu haben, dass der Hund kein wirkliches Interesse zeigt, selbst wenn man ihn auffordert, in den Sarg zu schauen oder einen kleinen Hund in den Sarg zum Verstorbenen hineinsetzt. Beschnüffelt wird weniger der Körper, der wird eher ignoriert, Aufmerksamkeit erregen vor allem Sargbeigaben, die noch nach dem Besitzer riechen – etwa sein Hut, sein T-Shirt, sein Kuscheltier. Dass hier ein Abschied von einer verstorbenen Bezugsperson stattfindet, wird offensichtlich nicht verstanden. Hunde zeigen beim Abschied am offenen Sarg auch keine Reaktionen, die wir als Trauerreaktionen interpretieren können. Aber sie erkennen natürlich andere lebende Familienmitglieder, die sich zum Abschiednehmen versammeln, begrüßen diese und treten mit ihnen in Interaktion. Auch wenn sie also den Abschied nicht wirklich zu brauchen scheinen, weil alles darauf hinweist, dass sie nicht verstehen, wer da im Sarg liegt und was hier gerade geschieht, ist es schön, wenn sie dabei sind, einfach weil sie zur Familie gehören und natürlich auch wichtige Begleiter in dieser schweren Zeit sind. Aber auch wenn Hunde kein Todeskonzept zu haben scheinen, heißt das nicht notwendigerweise, dass sie den Verlust nicht erfahren und deshalb nicht trauern. Hundebesitzer berichten, dass Hunde verstorbene Familienmitglieder noch lange Zeit suchen, ihr Verhalten verändern, weniger aktiv sind, das Fressen verweigern oder stark einschränken und auf diese Art nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen oder eines vertrauten Haustieres Anzeichen von depressiver Verstimmung zeigen. Ähnlich verhalten sich Hunde, wenn ihr Besitzer für einige Tage verreist. Kehrt er zurück, wird er freudig begrüßt: Durch Bellen, Schwanzwedeln, Hochspringen und Ablecken. Wo so offensichtlich Freude ist, spricht viel dafür, dass auch die Fähigkeit zur Trauer ist. Aber was sagt die Fachwelt zu diesem Thema?
„Emotionen bei Tieren – das war etwas für Romantiker“, meinte der Biologe und Ethnologe Frans de Waal, denn bis vor 30 Jahren war die Frage, ob Tiere überhaupt empfindungsfähig sind, für die Wissenschaft einfach nicht erforschungswürdig. Frans de Waal war ein solcher Romantiker und einer der ersten Verhaltensforscher, der sich mit Bewusstsein und Emotionen im Tierreich beschäftigte. Heute gibt es eine große Zahl an Verhaltensstudien, die belegen, dass das Erleben vieler Tierarten sehr komplex ist und dass Gefühle kein Alleinstellungsmerkmal des Menschen sind. Stellt sich nur die Frage: Welche Gefühle haben Tiere und gehört Trauer auch dazu?
Wenn Elefanten sich um ein totes Elefantenbaby versammeln, es bewachen, es immer wieder berühren, wenn Affen wochenlange ihr totes Junges mit sich herumtragen und pflegen oder eine Orca-Wal-Mutter 17 Tage lang ihr totes Baby durchs Meer mitträgt, sind das nicht unbedingt Zeichen für Trauer. Dieses Verhalten zeigt eher, dass sie kein Todeskonzept haben und nur langsam begreifen, dass sich etwas verändert hat, dass etwas nicht mehr so ist, wie es war. Aber auch wenn diese Tiere möglicherweise kein Todesverständnis haben, so können sie dennoch Verlusterfahrungen haben und auf diese emotional reagieren. Neurowissenschaftlich konnte belegt werden, dass Hirn-Areale, welche beim Menschen entscheidend für das Entstehen von Emotionen sind, relativ alte Strukturen sind, die wir mit allen übrigen Säugetierarten teilen. Außerdem konnte gezeigt werden, dass diese Areale bei allen Säugetieren auch dieselben Funktionen haben. Hirnregionen, welche zum Beispiel beim Menschen in gefährlichen oder erfreulichen Situationen aktiv sind, sind es auch bei Säugetieren. Neuro- und verhaltensbiologische Forschungen haben dazu geführt, dass heute Emotionen mittlerweile bei allen Säugetieren, aber auch bei manchen Vogelarten und Reptilien anerkannt werden. Untersuchungen legen nahe, dass viele Tierarten so genannte „primäre Emotionen“ wie Furcht, Wut, Traurigkeit, Ekel, Zuneigung und Freude empfinden können. Primäre Emotionen sind von Geburt an vorhandene „primitive“ Emotionen, welche kein kognitiv hohes Entwicklungsniveau voraussetzen, durch äußere Sinnesreize ausgelöst werden und überlebensnotwendig sind. Auch menschliche Babys kommen mit diesen Gefühlen auf die Welt, erweitern ihr Gefühlsspektrum im Laufe der ersten Lebensjahre aber durch die „sekundären Gefühle“, das sind Gefühle wie Scham, Schuld, Reue, Neid und Eifersucht, welche ein höheres geistiges Niveau voraussetzen und durch Denkprozesse ausgelöst werden. Wie differenziert Gefühle von den einzelne Tierarten empfunden werden und ob sie auch zu sekundären Gefühlen imstande sind, ist noch unklar. Über Bewusstsein, Denkleistungen und Fühlen einzelner Tierarten gibt es also noch vieles zu erforschen. Vermutlich wird vieles ungeklärt bleiben, da Tiere ja nicht über ihr Erleben sprechen und uns berichten können. Eines ist aber klar und Frans de Waal bringt es auf den Punkt: „Tiere sind nicht wie Steine. Sie sind fühlende Wesen.“ Trauen wir ihnen lieber mehr zu als zu wenig und geben wir ihnen im Trauerfall die Möglichkeit, am Abschied teilzunehmen.
Christine Pernlochner-Kügler
Quellen:
https://www.nationalgeographic.de/tiere/2022/09/freude-trauer-empathie-die-gefuehlswelt-der-tiere
https://www.spektrum.de/news/koennen-tiere-trauern/1655642