Der letzte Fußabdruck

Lasst im Grünen mich liegen, 
unter Blumen und Klee,
unter Blumen mich schmiegen, 
unter Blumen und Klee. 
 
(Friedrich Rückert)

Alle reden von Nachhaltigkeit, Umwelt und dass wir möglichst kleine Fußabdrücke hinterlassen sollen. In unserer Bestattungs- und Friedhofskultur ist das allerdings noch nicht so richtig angekommen. Wenngleich es medial schon einige Jahre Thema ist – die Praxis hinkt nach und zwar mit einem gewaltig großen Fußabdruck, denn wir Tiroler sind stolz auf alles „mit Tradition“ und daher recht „hadschert“ unterwegs, eigentlich wäre uns der Stillstand am liebsten. 

Die Säulen unserer Bestattungskultur sind: Der Transport von Verstorbenen, die Bestattungsform, die verwendeten Materialien und der Bestattungsort. Schauen wir uns unsere Bestattungskultur aus ökologischer Sicht an, macht sich schnell Ernüchterung breit. 

Was zu verbessern wäre? So ziemlich alles

Die Urnenbeisetzung ist mittlerweile die häufigste Bestattungsform und liegt im städtischen und stadtnahen Gebiet bei mittlerweile 80 Prozent. Selbst bei den Katholiken, bei denen die Feuerbestattung lange verpönt und zwischenzeitlich sogar verboten war,  ist sie inzwischen gängige Praxis. Und: Seien wir uns doch ehrlich, so eine Urne ist schon was Praktisches: handlich, platzsparend und man ist zeitlich flexibel. Auch kann man Asche gut teilen und Angehörige können in Tirol offiziell 20 Gramm zur Erinnerung behalten. Und ich gebe offen zu: Immer wenn Angehörige sich für eine Feuerbestattung entscheiden, atme ich innerlich auf, weil es einfach viel stressfreier ist und weniger Personal braucht. Leider ist die Feuerbestattung aber absolut nicht „grün“: Der Energieverbrauch ist enorm (bei etwa 400 Kilowattstunden Gas pro Kremation sprechen wir vom Verbrauch einer 30-qm-Wohnung für einen Monat) und die meisten modernen Krematorien werden mit Gas betrieben, was nicht die Zukunft sein kann, wie wir gerade schmerzhaft zu spüren bekommen. Eine löbliche Ausnahme ist die Feuerbestattung Oberösterreich, die durch ein großflächiges Sonnenkraftwerk und modernste Technik mit CO2-neutraler Kremation werben kann. Das ist gut, sehr gut sogar, aber es bleiben immer noch ein großer Energieverbrauch und problematische Überreste. In den letzten Jahrzehnten fand durch die Kremationslobby ein richtiggehendes Greenwashing der Feuerbestattung statt, weil sie eine so saubere Sache sei. Oberflächlich betrachtet stimmt das, denn die Asche ist absolut hygienisch und aus dem Rauchfang eines modernen Krematoriums kommt aufgrund eines Entstaubungsverfahrens nur mehr Wasserdampf. Verschwiegen wird, dass die gefährlichen ausgefilterten Schadstoffe und Stäube des Kremationsprozesses an Sorbalit gebunden und dann irgendwo „entsorgt“, spricht untertage in Salzgestein sichergestellt und gelagert werden müssen. Das ist zwar besser als die Deponierung übertage, weil durch die Einlagerung untertage klimaschädliche Treibhausgasemissionen in Europa deutlich verringert werden können, aber das grundsätzliche  Problem wird eigentlich nur verschoben: Die Asche im Grab ist zwar sauber, der Dreck bleibt, nur halt woanders. Eine weitere Folge: Auf den Friedhöfen müssen immer mehr Nischen gebaut werden, das sind meist Betonwände, in welche die Urnen für mindestens 10 Jahre gestellt werden. Oft bleiben sie dort länger und das heißt: Immer mehr Urnennischen werden nötig. Verführerisch-praktisch und pflegeleicht – zugegeben – aber es entstehen eben auch immer mehr versiegelte Flächen. Und das, obwohl der Trend auch bei uns immer weiter in Richtung Naturbestattung geht, weil viele Menschen der jüngeren Generation mit dem Friedhof nichts mehr anfangen können. Durch unsere Mobilität ist die Bindung an den Heimatort nicht mehr so stark und da Familien verstreut über den ganzen Globus wohnen, macht der Friedhof als Erinnerungsort für viele keinen Sinn mehr. Was macht die Gesetzgebung in Tirol aber? Sie schreibt das Gesetz so um, dass die Bestattungskultur den tatsächlichen Bedürfnissen und Entwicklungen diametral entgegensteht: Das Verstreuen von Asche ist weiterhin illegal und das Umwidmen und Betreiben von Waldfriedhöfen wird so sehr erschwert, dass private Angebote verunmöglicht werden und die Kommunen selbst bringen nichts auf die Beine, obwohl es hoch an der Zeit wäre. 

Die Erdbestattung: Mit dem Gedanken, dass es danach aus sein könnte, tut sich der Mensch schwer. Für viele Kulturen ist daher die Idee eines Lebens nach dem Tod das erträglichere Narrativ und für einige ist der Erhalt des Körpers sogar Voraussetzung für die Auferstehung. Nicht nur die alten Ägypter, auch Katholiken und Orthodoxe sind Religionsgemeinschaften, welche daher die Körperbestattung propagieren. 

Hierzulande ließ sich die christliche Oberschicht seit dem Mittelalter in Grüften bestatten. Grüfte sind Räume oder unterirdische Nischen, in denen möglichst unvergängliche Särge möglichst unvergängliche Verstorbene einlagern – bis zu ihrer  “ganzkörperlichen” Auferstehung. Das einfache Volk ahmte die Herrschaften nach: Zwar blieb dem Volk nur ein Erdgrab, aber wer es sich leisten konnte, nahm einen Sarg aus hartem Holz. Vor zwanzig, dreißig Jahren waren sogar noch Mahagonisärge bei uns in Tirol im Einsatz. Zum Glück ist dieser Unfug vorbei, aber in den Kellern von vielen Bestattern lagern immer noch welche. 

Die Erdbestattung wäre bio, wenn wir nachhaltig beisetzen würden: Das fängt bei der Bekleidung des Verstorbenen an – keine synthetisch Bekleidung, keine Nylonstrümpfe (bei älteren Damen immer noch sehr beliebt), das alles verrottet nicht nur nicht, es verhindert auch die Verwesung. Billige Polyester-Einbettungen sollten verboten werden, leider ist Polyester immer noch bei vielen Bestattern Standard, dabei gibt es auch Alternativen aus Naturfasern und man kann Verstorbene auch einfach nur auf Heu betten. Verstorbene werden außerdem in sogenannte Hygienehüllen oder -laken gelegt, diese sind für die Abholung und Einlagerung von Verstorbenen oft unumgänglich. Selbst die „vergänglichen“ Hüllen verrotten aber in der Erde nicht, denn für die Verrottung bräuchten sie das gesamte Programm an Witterung – inklusive Sonnenlicht – und die scheint halt in “six feet under” nicht. So bilden Hülle samt Polyester-Einbettung eine Wanne, in der der Leichnam in seiner Flüssigkeit und der Feuchtigkeit des Erdreiches liegt, was die Verwesung erschwert oder gar verhindert: Fettwachsbildung heißt das Phänomen, wenn der Körper aufgrund von zu viel an Nässe „verseift“ und konserviert wird.

Seit einiger Zeit wird der „Loop“-Sarg beworben. Er besteht aus Myzelien, das sind Pilzzellen,  die bei der Verwesung helfen und auch alle Toxine des Körpers neutralisieren und in guten Stoff umwandeln. Man stellt ihn in den Wald und binnen weniger Wochen tun die Fasern des Myzels das, wofür ein stabiler, lackierter und voll ausgestatteter Holzsarg im Erdgrab, wenn‘s blöd läuft, Jahrzehnte braucht. Der Loop-Sarg wird nach kurzer Zeit samt Leichnam vom Waldboden aufgenommen - das wars. Vom ökologischen Standpunkt her eine schöne Sache, aber eine niederländische Erfindung und die Niederländer sind bekanntlich weniger konservativ. In Tirol, wo man das Verstreuen von Asche grundsätzlich verbietet und wo man die Umwidmung von Wäldern in Friedhofsflächen so erschwert,  dass wir gerade mal einen kleinen Waldfriedhof in Kundl haben, brauchen wir von Loop-Särgen, die im Wald herumstehen gar nicht erst zu träumen…..

Neu sind die Promession und die Reerdigung. Bei der Promession wird  der Körper durch flüssigen Stickstoff gefriergetrocknert, anschließend pulverisiert und beigesetzt. Diese Bestattungsform gibt es mittlerweile immerin schon in Niedersachsen. Bei der Reerdigung wird  die verstorbene  Person in einen Stahlkokon gelegt, der mit Heu, Grünschnitt, Blumen und Klee gefüllt ist. Innerhalb von ca. 40 Tagen erledigen die enthaltenen Mikroben den Prozess der Umwandlung in fruchtbaren Humus. Das Verfahren war aus der Tierkörperverwertung bereits bekannt, wurde auf einer Bodyfarm in den USA für menschliche Körper erforscht und mittlerweile ist es eine rechtsmäßige Bestattungsform in zwei US- Bundesstaaten. In Deutschland ist die Reerdigung im Projektstatus, klingt aber vielversprechend. Im Vergleich zur Feuerbestattung spart man bei diesen beiden neuen Methoden bei jedem Toten eine Tonne CO2. Die Frage ist hier, ob sich diese neuen Formen durchsetzen werden? Die Zeit wird es zeigen. Immerhin bleiben pro Reerdigung 200kg Humus über, die auf den Friedhof müssen, es sei denn man schreibt das Bestattungsgesetz bei uns radikal um.

Die gute Nachricht hab ich bei einem Seminar bei Mark Beneke erfahren: Ein unbehandelter Sarg mit entsprechend abbaubarem Material ausgestattet und den Verstorbenen möglichst ohne Hygienehülle im Sarg oder zumindest mit einem wirklich auch im Erdreich vergänglichen Laken tut es bei einer normalen Erdbestattung am Friedhof auch, denn die Erde ist voller Myzelien, die sich durch einen unbehandelten Sarg aus weichem Holz sehr schnell durcharbeiten. Kollege Werner Kentrup, der die Grüne-Linie-Bestattungen gegründet hat, hat es mit Heu als Unterlage im Sarg probiert und das klappt – ähnlich wie bei der Reerdigung  ausgezeichnet: Saugt auf, sorgt für Durchlüftung und ist somit perfekt für die Verwesung. Schneller gings natürlich im Kokon oder im Loop-Sarg und Zeit spielt bei den vielen Menschen, die wir inzwischen auf diesem Planenten sind, ein Rolle. Jedenfalls werden auch unsere Särge mit Heu vom Bauern aus der Region ausgestattet und auf Hygienelaken als Unterlage verzichten wir bei der Erdbestattung wenn irgendmöglich komplett. 

Der Transport von Verstorbenen erfolgt in der Regel im Leichenwagen, es gibt auch schon E-Modelle, in der Praxis sind sie die Ausnahme. Neben den sehr hohen Anschaffunskosten sind sie aufgrund der Ladezeiten mit unserem Bereitschaftsdienst für Abholungen im Alltag schwer vereinbar. Das Krematorium Kramsach holt aber Verstorbene aus ganz Tirol mit Transportern ab, in denen vier Särge Platz haben, und liefert die Urnen gesammelt auch wieder an uns zurück, wodurch viele Einzelfahrten gespart werden. Wo es geht, versuchen wir aufs Auto zu verzichten: Behördenwege in der Stadt machen wir zu Fuß oder mit dem Rad und wenn ich am Friedhof nebenan eine Grablegung einer Urne hab, dann nehme ich einen leichten Urnenaufsteller aus Metall und die Urne selbst und spaziere zu Fuß zum Friedhof. Auch mit dem Fahrrad waren wir mit der Urne schon unterwegs. Wieso soll es mit dem Auto “pietätvoller” sein? 

Bleiben noch - die Friedhöfe: Da wird besonders gerne auf Tradition gepocht, obwohl das Interesse deutlich abgenommen hat. Friedhöfe - so wie wir sie kennen - sind eine Erfindung des Christentums. Christen sahen sich als Gemeinschaft und wollten auch als Gemeinschaft begraben und geehrt werden, aber unsere westlich geprägte Gesellschaft ist mittlerweile eben säkularisiert und will Alternativen. Sich um die Grabpflege kümmern, das mögen die wenigsten, wir ändern aber nichts an der  Tradition unserer typischen Gräber mit dem kleinen Vorgarten, der Arbeit macht. Die Lösung: Gräber werden mit praktische Platten verschlossen und mehr Nischen gebaut. Der Friedhof, der immer als „grüne Lunge“ gepriesen wird, verkommt immer mehr zur versiegelten Fläche mit Kieswegen. Und wenn ein bisschen Grünzeug auf diesen Wegen wächst, dann gibt es Aufregung, weil es so unordentlich wirkt. Zum Glück ist Roundup auf vielen Friedhöfen inzwischen trotzdem tabu. Warum nicht mal Ideen bei unseren nördlichen Nachbarn sammeln? Die haben nämlich auch Tradition – zum Beispiel, indem sie auf Grabeinfassungen und Vorgärtengräber verzichten und einfach nur einen Grabstein ins Gras stellen. Es gibt sogar Friedhöfe, die ohne Grabsteine auskommen, die Lage der Verstorbenen erfährt man durch GPS-Koordinaten. Grabpflege entfällt für den einzelnen und man braucht auch keine Kieswege. Hin und wieder mähen muss man halt oder ein paar Kühe, Schafe oder Ziegen drüber lassen. Aber wenn es die Briten, Schweden und Norddeutschen schaffen, warum dann nicht auch  bei uns? 

Die Erde könnte alle Lebewesen gut verdauen und auflösen, alles andere wäre auch sinnfrei. Aber wir machen es ihr schwer, denn wir haben eine Bestattungskultur gegen die natürliche Vergänglichkeit entwickelt. Ich will die Feuerbestattung nicht abschaffen, sie hat sehr viele Vorteile und manchmal ist sie wirklich die einzige sinnvolle Bestattungsart, aber Nachhaltigkeit bedeutet ganz klar Erdbestattung, allerdings nicht mehr so wie wir sie heute kennen. Wir müssen umdenken. Wir müssen den Einsatz von Materialien, die Organisation und Abwicklung, aber auch die Bestattungsorte neu denken, dann wird das natürliche Vergehen vielleicht auch wieder attraktiver und mehr Menschen entscheiden sich dafür. 

Christine Pernlochner-Kügler

Foto: Bestattung und mehr I. Neumair, Innsbruck

Quellen: 

Die I. Neumair Bestattung und mehr GmbH ist Ihr Tiroler Ansprechpartner für traditionelle Bestattungen und moderne Verstorbenenversorgung (Thanatopraxie), Trauerfeier- lichkeiten, Trauerbegleitung und Seminare mit Sitz in Innsbruck.

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