Kinder und der Tod  – Trauma oder Chance?

Die Realität des Todes und seine Unumgänglichkeit lösen Ängste aus –  bei Erwachsenen wie bei Kindern. Diese Ängste sind „normal“, sie gehören zum Leben wie der Tod selbst. Es ist eine unserer Lebensaufgaben, mit der Angst vor dem Tod leben zu lernen, ohne dass sie uns völlig in Beschlag nimmt und uns die Lebensfreude raubt. Ein völlig angstfreier Umgang mit diesem Thema ist also unrealistisch. Wollen wir unsere Kinder schützen, indem wir ihnen Dinge verheimlichen, verschleiern, verschönern oder nur die halbe Wahrheit erzählen, so verursachen unsere vermeintlich guten Absichten oft sogar das Gegenteil, dann all das führt dazu, dass Kinder sich eigene Vorstellungen machen und Phantasien entwickeln, die nicht hilfreich sind. Verweigern wir ihnen den Abschied von einer verstorbenen Bezugsperson, weil wir beschließen, dass es besser ist, den Sarg verschlossen zu halten, oder weil wir sie nicht zum Begräbnis mitnehmen, dann wird ein Abschied verunmöglicht, der für die Realisierung des Verlustes und für die Einleitung des Trauerprozesses für Kinder genauso wichtig ist wie für Erwachsene. Trauer ist eine gesunde Reaktion und ein Heilungsprozess. Das gilt für Erwachsene wie für Kinder. "Es führt kein Weg an der Trauer vorbei, sondern nur durch sie hindurch." Dieser Satz von Trauerforscher Jorgos Canacakis gilt für alle Menschen – ob groß oder klein. Es ist sinnlos, Kinder vor ihrer Trauer schützen zu wollen, indem man sie nicht mit in die Trauerfeierlichkeiten einbindet. Wer Kinder vor der Trauer schützen oder ablenken will, verhindert dadurch den Heilungsprozess. Trauer wird blockiert, was in Krankheit entgleisen kann. Außerdem sollen Kinder erleben, dass Trauer zum Leben gehört und dass man sie bewältigt, indem man sie zulässt.

Ein letztes Mal sehen, berühren und begreifen …

Für Kinder ist der Tod noch viel schwerer zu verstehen als für Erwachsene, daher ist es gerade für sie besonders wichtig, sich ein konkretes Bild vom verstorbenen Menschen zu machen. Wenn Kinder gut vorbereitet und begleitet werden und sich sicher fühlen, gehen sie sehr natürlich mit dem Thema Tod um: Sie suchen den Kontakt zum Verstorbenen ohne große Scheu und können das Erlebte gut verarbeiten. Meist sind Kinder beim Abschied vom Verstorbenen weit ungezwungener als Erwachsene und stellen eine Bereicherung für alle dar. Wichtig ist, dass wir sie nicht ins Zwangskorsett unserer erwachsenen Vorstellungen darüber stecken, wie man sich bei Trauerfeiern und beim Abschiednehmen verhält und wie man trauert, und ihnen nicht unseren Rhythmus der Gefühle und unsere Konventionen aufzwingt. Kinder dürfen alle Fragen stellen, die sie haben, auch wenn sie uns unangemessen erscheinen, und wenn Kinder zwischendurch spielen, lachen und vergessen, was geschehen ist, dann ist das normal und gesund: Das sind Erholungsphasen, die das Kind dringend braucht.

Im Unterschied zu uns Erwachsenen halten Kinder nämlich schmerzhafte Situationen viel weniger lange aus, sie schalten, wenn es ihnen zu viel wird, automatisch ab und beschäftigen sich mit etwas anderem und beginnen beispielsweise zu spielen, möchten einen Film anschauen, wenn ihnen der Prozess des Abschiednehmens der Erwachsenen zu lange dauert oder emotional zu schwer wird. Lassen sie die Kinder dann machen, wonach ihnen der Sinn steht, sie brauchen dann einfach Ablenkung und damit Erholung. Fixieren sie ein Kind niemals im Trauermodus, versuchen sie aber auch niemals ein Kind von seiner Trauer abzulenken, wenn es gerade traurig ist. Trauer ist wie gesagt gesund.

Es gibt ein gutes Kinderbuch: "Leni und die Trauerpfützen", darin wird der Trauerrythmus kindgerecht veranschaulicht: Wenn Leni die Trauer überkommt, dann ist es so, als würde sie in eine Trauerpfütze springen. Da drinnen sitzt sie dann eine zeitlang und wenn es genug ist, springt sie wieder raus. Das geht ganz von alleine und ist übrigens auch bei uns Erwachsenen so, nur dass unsere Verweilzeit in der Trauerpfütze länger andauert, weil wir es auch länger darin aushalten. Aber wenn es uns zu lange wird, dann springen wir auch wieder raus, um kurz Luft zu schnappen, bevor wir wieder reinspringen, um unseren Verlust weiter zu verarbeiten.

Der Grundsatz der Notfallpsychologie im Umgang mit Kindern und traumatischen Erlebnissen lautet: "Kinder brauchen Wahrheit, Klarheit und Struktur". Dazu möchte ich ein paar Tipps für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer geben:

Tipps für Eltern

  • Sprecht mit euren Kindern offen über den Tod eines Menschen. Erklärt ihnen, dass der Verstorbene „gestorben“ oder „tot“ ist, und vermeidet Beschönigungen und Verschleierungen. Erklärt den Kindern den Tod und dass er endgültig ist. Beantwortet alle Fragen wahrheitsgemäß. Gebt auch offen zu, wenn ihr eine Frage nicht beantworten könnt, weil ihr die Antwort nicht wisst. Verstecken, Beschönigen, Verschleiern und halbe Wahrheiten führen früher oder später immer zu Problemen: Wenn der Tod verheimlicht wird, bedeutet das keine Hilfe, sondern eine zusätzliche Last für Kinder: Die tote Person ist fort und somit erleiden Kinder ein Verlusterlebnis, ohne zu verstehen warum. Die Veränderungen ohne Erklärung, die Lücken im Wissen füllen Kinder mit eigenen Erklärungen und Phantasien, welche schlimmer sein können als die Realität. Kinder suchen die Schuld häufig bei sich, wenn jemand ohne Erklärung nicht mehr da ist oder nicht mehr wieder kommt und sie erfahren schlussendlich trotzdem davon. Sie schnappen Gerüchte oder Bemerkungen von Erwachsenen, Kindergartenfreunden oder Mitschülern auf und erleben dann einen Vertrauensbruch.
  • Lasst, sobald es geht, den Alltag wieder einkehren. Kinder brauchen gerade in schwierigen Situationen einen geregelten Tagesablauf. Das gibt ihnen das Gefühl der Sicherheit. Wenn Kinder den Wunsch äußern, in die Schule oder in den Kindergarten gehen zu wollen, dann lasst sie dorthin. Kinder brauchen Phasen der Distanzierung und Normalität im Trauerprozess. Zwingt sie aber nicht dazu.
  • Nehmt die Ängste eurer Kinder ernst. Auch phantasierte Ängste sind für Kinder real. 
  • Erlaubt den Kindern einige Entscheidungen zu treffen, die die Familie und den Tagesablauf betreffen. Das gibt ihnen das Gefühl, dass sie noch immer Kontrolle über ihr Leben haben.
  • Lasst den Kindern Zeit zum Spielen. Kinder müssen Kinder sein dürfen, auch während einer sehr schwierigen familiären Situation. Sie brauchen Zeit, um vor den Anforderungen zu fliehen.
  • Erhöht die Zuwendung und Aufmerksamkeit. Kinder wollen normalerweise nach einem Notfall mehr Nähe und mehr gehalten werden als davor. Gebt den Kindern die Zuwendung, die sie brauchen.
  • Behaltet die Kontrolle. Seid verständnisvoll aber konsequent. Kinder können ihre Ängste durch Trotzanfälle ausdrücken oder dadurch, dass sie ständig Kämpfe anfangen. Ruhiges und konsequentes Grenzen-Setzen ist hier am besten.
  • Teilt eure Ängste und Trauergefühle mit den Kindern. Dadurch verstehen Kinder, dass diese Gefühle normal und akzeptierbar sind. Vermittelt euren Kindern aber auch, dass ihr alles tun werden, um sie zu beschützen in dieser schwierigen Situation.
  • Schafft eine Atmosphäre, in der die Gefühle der Trauer zugelassen und gefühlt werden dürfen. Erklärt euren Kindern, dass auch Gefühle der Wut (auch der Wut auf den Verstorbenen) und der Freude in der Trauer erlaubt sind. Kinder bekommen sonst leicht Schuldgefühle, wenn sie wütend sind oder sich trotzdem über etwas freuen.
  • Verweigert euren Kindern den Abschied vom Verstorbenen am offenen Sarg nicht. Sorgt dafür, dass das Kind auf die Verabschiedung angemessen vorbereitet und dabei kompetent begleitet wird.
  • Nehmt eure Kinder mit zum Begräbnis. Auch Kinder haben ein Recht auf den Abschied von der geliebten Person und auf Rituale, die beim Abschied hilfreich sind. Der Ausschluss aus den Trauerfeierlichkeiten der Familie gibt Kindern das Gefühl "nicht dazuzugehören". Nicht eingebunden zu werden, erzeugt auch Schuld-Straf-Phantasien: „Was habe ich falsch gemacht, dass ich nicht dabei sein darf?“ Kinder erleben außerdem, dass der Tod ein Tabuthema ist und nicht darüber gesprochen werden darf. Sie bleiben dann mit ihrem Schmerz alleine und bekommen keine Möglichkeit angemessen zu trauern. Gefühle werden blockiert und damit wird pathologische Trauer begünstigt. 
  • Sorgt beim Abschied und beim Begräbnis dafür, dass ein Kind von einer Person begleitet wird, die selbst nicht von Trauer überwältigt ist und handlungsfähig bleibt. Wenn das Kind früher gehen will, kann diese Person das Kind begleiten, ohne dass ihr selbst den Abschied abbrechen oder das Begräbnis früher verlassen müsst. Das Kind sollte diese Person kennen und ihr vertrauen.
  • Findet angemessene Trauerrituale für Kinder. Feierlichkeiten, die nur auf das gesprochene Wort und Texte aufbauen, erreichen Kinder nicht in ihren Bedürfnissen als Trauernde.
  • Wichtig ist, dass Kinder trauern dürfen, dass sie es aber auf ihre Art und Weise dürfen und in ihrem Rhythmus: Erholung vom Schmerz, von der Trauerarbeit ist genauso wichtig, sonst hält man Trauer nicht aus.
  • Trauerreaktionen treten beim Kind oft stark zeitverzögert auf, und zwar dann, wenn das Kind wirklich realisiert, was der Tod der verstorbenen Person fürs eigene Leben bedeutet. Das ist oft erst Monate später der Fall. Wenn Kinder zunächst wenig Trauerreaktionen zeigen und erst Monate später im Verhalten auffällig werden (Rückzug, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, Wutanfälle, Trotzanfälle etc.) oder körperliche Symptome entwickeln (Einnässen, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit etc.) können dies verzögerte Trauerreaktionen sein. Lasst das bitte abklären und erzählt dem Kinderarzt bzw. der Kinderärztin von dem Todesfall.
  • Nehmt Kontakt mit einem Kinderpsychologen oder einer Kinderpsychologin und/oder dem Verein "Rainbows" auf, dort gibt es Angebote für Kinder, die trauern. 

 

Tipps für Lehrer*nnen

  • Erklärt dem betroffenen Kind, warum es wichtig ist, dass die Klassenkameraden über den Todesfall in der Familie informiert werden sollen. Fragt das Kind, ob es dabei sein möchte oder nicht.
  • Wenn das Kind ein paar Tage nicht zur Schule kommt, informiert die Klasse über den Todesfall in der Familie des Kindes und erklärt dem Kind später, warum das wichtig war.
  • Fragt das Kind, ob es in der Schule über den Trauerfall sprechen möchte oder nicht.
  • Fragt das Kind, ob es mit der Klasse gemeinsam ein Trauerritual für das verstorbene Familienmitglied durchführen möchte oder nicht. Manche Kinder brauchen die Schule im Trauerfall als Ort der Distanzierung und der Erholung von der Trauer-Atmosphäre zuhause und wollen in der Schule keine Trauerrituale oder darüber sprechen. Akzeptiert das und ermöglicht so dem Kind, sich von der Trauerarbeit zu erholen.
  • Wenn das Kind weder mit Lehrern noch mit den Mitschüler über den Trauerfall sprechen möchte, dann respektiert dies. Signalisiert dem Kind dennoch eure Gesprächsbereitschaft, indem ihr ihm anbietet, jederzeit zu euch kommen zu können, wenn es das möchte. Oft entsteht dieses Bedürfnis viel später, denn kindliche Trauerreaktionen treten oft stark zeitverzögert auf, und zwar dann, wenn das Kind wirklich realisiert, was der Tod der verstorbenen Person fürs eigene Leben bedeutet. 
  • Kinder reagieren oft mit verzögerten Trauerreaktionen: Verhaltensauffälligkeiten oder Konzentrationsstörungen kommen als Trauerreaktionen oft erst Wochen oder sogar Monate nach dem Trauerfall zum Ausdruck, wenn das Kind das Ausmaß der Veränderungen durch den Verlust bewusst erlebt. Seid sensibel für Verhaltensveränderungen, es können verzögerte Belastungsreaktionen oder Trauerreaktionen sein. Wenn solche Verhaltensauffälligkeiten andauern, sprecht mit den Bezugspersonen des Kindes und holt euch Rat bei den SchulpsychologInnen.

Alles Liebe, Christine Pernlochner

Titelbild: Ernst Pavelka

 

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