Vienna blood

Was für ein Zynismus! Tauchte ich gestern am Abend doch mit meinem Mann in die ORF TV-Thek ab, um Versäumtes nachzuholen - Vienna Blood sollte man schon gesehen haben! Ein Gemetzel um die Jahrhundertwende, offensichtlich politisch motiviert. Die Gemütlichkeit des fiktiven Blutrausches wurde jäh durchbrochen durch eine Eilmeldung parallel zum TV auf dem Tablet, das man ja immer auch mit im Blick hat: „Vienna blood“ lief in Wien gerade live. Hastiges Umschalten zur ZIB-Berichterstattung und paralleles Verfolgen der auf Youtube hochgeladenen Videos von zufälligen Zeugen. Zwei Stunden ein Bildschirm mit flackernden Blaulichtern, Sirenen, mehr oder weniger erschrockenen Reportern nah an den Tatorten, Gerüchten, ersten Gewissheiten, aber nix Genaues weiß man nicht … Mein Gedanke: Was bin ich froh, hier in Tirol zu sitzen, da möchte ich grad keine Einsatzkraft vor Ort sein – weder Sani noch Bestatter.

Ich hoffte, dass alle meine Wiener Freunde und Bekannten wohlauf sind. Wohlauf war genau genommen aber wohl keiner. Terrorakte haben immer das Ziel, eine möglichst große Anzahl von Menschen zu schädigen und auch wenn man selbst nicht unmittelbar Opfer oder Zeuge war, bedrohen sie die psychische Stabilität einer großen Gruppe von Menschen, einer Region oder eines ganzen Landes. Nicht nur unmittelbar Betroffene – also  überlebende Zeugen und Angehörige – reagieren mit Belastungsreaktionen, sondern auch an sich unbeteiligte Personen, da durch diesen – ohne Vorwarnung in eine „heile Welt“ hereinbrechenden – Gewaltakt unser Sicherheitsgefühl stark beeinträchtigt wird. Die Annahme „Terror gibt es nur in anderen Ländern, wir hier sind sicher“, entpuppt sich als Illusion. Das Entscheidende an einer Traumatisierung nach einer solchen Katastrophe ist der Verlust der Sicherheit, es kommt zum Gefühl von Hilflosigkeit und zu einer existentiellen Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses.

Zuerst reagieren wir mit Schock, da ist man aufgewühlt, spürt aber oft noch gar nichts, aber nach dieser ersten akuten Schockreaktion, beginnen wir auf das Erlebte zu reagieren. Manche Menschen können alles von Anfang an gut einordnen, bei manchen kommt es aber zu so genannten Belastungsreaktionen. Das sind an sich normale Reaktionen auf ein nicht-normales Ereignis. Sie zeigen an, dass sich die Psyche des Menschen mit dem Geschehenen auseinandersetzt. Belastungsreaktionen sind: unkontrollierbare belastenden Gedanken, Erinnerungen, Bilder oder Albträume, Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Konzentrationsstörungen, das Vermeiden von Orten und Personen, die an das Ereignis erinnern. Belastungsreaktionen treten bei Opfern, Angehörigen, aber unter Umständen auch bei „an sich“ unbeteiligten Personen auf - zum Beispiel bei Menschen, die gestern vor dem Bildschirm „dabei“ waren.

Viele von uns sind durch die Entwicklungen der Coronakrise schon verängstigt und dünnhäutig, der Terror in Wien erschüttert unser Sicherheitsgefühl womöglich noch mehr: Eine durch ein Virus bedrohte Welt wird plötzlich noch bedrohlicher....

Als Grundregel gilt: Die Auseinandersetzung mit den belastenden Ereignissen ist besser als die Verdrängung, die Verleugnung oder die Bagatellisierung. Allerdings ist es auch wichtig, zwischendurch immer wieder Ablenkung, Erholung und Entspannung zu suchen. Sitzen Sie also nicht stundenlang vor den Nachrichten und schauen Sie sich nicht wiederholt die Bilder und Filme des Schreckens an und vielleicht hilft es auch in diesen bedrohlichen Zeiten, den Konsum von Krimis zu reduzieren. Ein aktiviertes Angstzentrum im Gehirn braucht nicht zusätzlich noch fiktiven Grusel. Sprechen Sie über Ihre Ängste und wenn Sie merken, dass Sie unter Belastungsreaktionen leiden, die auch nach einigen Wochen nicht besser werden, nehmen Sie Hilfe in Anspruch. Bei den allermeisten Menschen klingen diese Reaktionen aber nach wenigen Wochen ab! Von Posttraumatischen Belastungsstörungen spricht man, wenn die Symptome länger als 6 Wochen andauern oder zeitverzögert (Wochen oder Monate nach dem Ereignis) auftreten. Sie sind auch noch keine „Krankheit“, man sollte hier aber professionelle Unterstützung suchen, da die Gefahr der Chronifizierung gegeben ist.

Das Ziel von Terroristen ist, Schrecken und Panik zu verbreiten, das Gefühl der Sicherheit zu untergraben, die Bevölkerung und ein Land in eine Krise zu stürzen. Dieses Ziel wird meist nicht erreicht. Im Gegenteil: Unmittelbar nach solchen Ereignissen gibt es meist auch eine unglaubliche Welle von Solidarität und Hilfsbereitschaft, welche ein unglaublich wichtiges stabilisierendes Auffangnetz für die Betroffenen darstellen und welche es der Bevölkerung ermöglicht, ihr Sicherheitsempfinden wieder zu stärken. Damit erreichen Terroristen eigentlich das Gegenteil von dem, was sie bezwecken, nämlich Toleranz und Mitgefühl.

Christine Pernlochner-Kügler

Die I. Neumair Bestattung und mehr GmbH ist Ihr Tiroler Ansprechpartner für traditionelle Bestattungen und moderne Verstorbenenversorgung (Thanatopraxie), Trauerfeier- lichkeiten, Trauerbegleitung und Seminare mit Sitz in Innsbruck.

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