Ins Gras gebissen - Der, dessen Name nicht genannt werden darf

Der Gärtner beißt ins Gras, der Koch gibt den Löffel ab, den Elektriker trifft der Schlag, der Pfarrer segnet das Zeitliche, der Schaffner liegt in den letzten Zügen, der Beamte entschläft sanft, der Religiöse muss dran glauben, der Zahnarzt hinterlässt eine schmerzliche Lücke, der Fechter springt über die Klinge, die Putzfrau kehrt nie wieder, der Anwalt steht vor dem Jüngsten Gericht, der KFZ-Mechaniker kommt unter die Räder, der Gynäkologe scheidet dahin, der Rabbi geht über den Jordan, der Optiker schließt für immer die Augen, der Tenor hört die Englein singen, der Tischler zieht den Holzfrack an...

Als Kind wurde mir ernster Miene mitgeteilt: „Heut in der Nacht ist der alte Ferdl eingeschlafen.“ Ein paar Tage später – als sich die Erwachsenen vom ersten Schrecken erholt hatten – wurden sie etwas salopper, denn im Gespräch hieß es dann: „Zwei Wochen ist es her, dass der Ferdl-Onkel seinen letzten Schnaufer getan hat.“ Und nach einem Jahr oder vielleicht war es länger, sagte meine Oma scherzhaft zu mir: „Ja mei, früher oder später schaun wir alle die Radieschen von unten an.“ Ich stellte mir dann vor, wie das ist, wenn man da liegt und die Radieschen zwar sieht, sie aber nicht essen kann. Tot sein muss sehr langweilig sein, dachte ich mir damals. Das war vor über vierzig Jahren. Nie wurde gesagt, dass der Ferdl “gestorben” oder “tot” ist. In der Zeitung stand dann: „Ein gutes Herz hat aufgehört zu schlagen“ oder so ähnlich. Und wenn wir die Sprüche und die Texte der Todesanzeigen lesen, dann werden eindeutige Begriffe immer noch vermieden und über die Todesart und -ursache breitet man auch heute gerne einen Schleier. Nur Insider wissen zwischen den Zeilen zu lesen und können Vermutungen anstellen, ob es nun ein Unfall, ein Suizid oder aber eine Erkrankung war.

Üblicherweise ist unsere Beziehung zum Tod eine schwierige, weil wir ihn als unseren Feind wahrnehmen. Und wie im Märchen dürfen Feinde oder das Böse nicht beim Namen genannt werden, sonst ruft man ihn etwa noch herbei oder man verleiht im Macht. „Verschrei’s nicht!“ oder „Mal den Teufel nicht an die Wand!“ oder „Nicht laut aussprechen!“ Das ist uraltes, archaisches, magisches Denken. Es ist irrational, aber wenn wir Menschen uns besonders hilflos fühlen, dann fallen wir auf alte archaische Denkmuster und magische Verhaltensweisen zurück. Auch in Harry Potters Abenteuern lernen unsere Kinder (und auch wir abendliche Vorleser oder begeisterte Heimlich-Leser), dass der böse Zauberer “Lord Voldemort” nicht beim Namen genannt werden darf, er wird ängstlich mit “Der, dessen Name nicht genannt werden darf”, (He, who must not be named) beflüstert. Und auch den Tod nennen wir nur ganz ungern beim Namen und umschreiben ihn lieber, dass er entweder harmloser, schön, eine Erleichterung oder aber zu etwas Lustigem wird.Wir kennen zwei Extreme: Entweder sprechen wir euphemistisch, d.h. „verschleiernd und beschönigend“ oder aber mit schwarzem Humor über den Tod. Euphemismen haben die Aufgabe, die Realität zu beschönigen. Der Humor soll belastende Gefühle abwehren und uns somit emotional entlasten. Wenn man cool rüberkommen will und sich selbst nicht unnötig belasten will, dann sagt man eben: „Wenn ich einmal die Patschen aufstell….“ Das klingt lustig, also wird’s wohl nicht so schlimm werden, das eigene Patschenaufstellen. Im Englischen heißt es übrigens ganz ähnlich: “When I kick up my heels …”

Diese beiden Sprachformen haben wir so verinnerlicht, dass wir erst lernen müssen, den Tod sachlich und klar beim Namen zu nennen, denn nur dann kommen wir seiner Realität näher. Nicht umsonst steht es explizit in den Lehrbüchern der Krisenintervention und der Notfallpsychologie, dass man beim „Überbringen von schlechten Nachrichten“ klare und eindeutige Worte ohne Beschönigung oder Verschleierung verwenden soll, da Betroffene oder Angehörige sonst nicht realisieren können, was geschehen ist. Und jeder, der in einem Berufsfeld arbeitet, das mit dem Sterben und dem Tod zu tun hat, weiß, wie schwer es gerade am Anfang von den Lippen kommt, wenn man die brutale Realität des Todes beim Namen nennen muss und sagen muss: „Ihr Mann/ihr Sohn/ihre Tochter/ihre Mutter …  ist gestorben.“ „Er/sie ist tot.“ Sicher, man lernt das dann. Aber von vorne herein steckt es in den wenigsten von uns. Lieber drücken wir uns drum herum.

Wenn man mit Kindern über den Tod spricht, sollte man mit Umschreibungen und Mteaphern sehr vorsichtig sein, denn Kinder nehmen wörtlich, was wir sagen und daraus können krasse Phantasien entstehen. Weil, “wer die Radieschen von unten sieht”, der ist nicht ganz tot, sondern eben nur halb. Der liegt bei vollem Bewusstsein bewegungslos unter der Erde. Und da wird das Totsein dann noch mehr zum Fürchten als es eh schon ist. Wir verwenden Euphemismen, weil wir glauben, dass wir uns, besonders aber auch Kinder, damit schützen können. Das ist aber ein Irrglaube. Euphemismen können genauso krasse und angstbesetzte Phantasien verursachen wie schwarzer Humor. Wer eingeschlafen ist, kann wieder aufwachen. Kinder haben dann Angst vor dem Einschlafen, weil da könnte man ja sterben und im Sarg wieder aufwachen. Wer “von uns gegangen” oder “hinüber gegangen” ist oder wer “seine Letzte Reise angetreten hat”, der kann wiederkommen. Das erzeugt falsche Hoffnungen und/oder aber Angst vor Wiedergängern, Gespenstern und Untoten. Wenn jemand „aus unsrer Mitte gerissen“ wurde, dann spiegelt das die Plötzlichkeit und Brutalität des Todes wieder, ohne dass klar gesagt wird, was genau geschehen ist. Damit schaffen wir eine große Leinwand, auf die Menschen ihre Phantasien projizieren können und es entstehen die aberwitzigsten oder entsetzlichsten Gerüchte. Unklarheit, offene Stellen, Verschleierungen bilden Lücken, die wir Menschen nicht als Lücken oder offene Stellen stehen lassen. Wir alle – Erwachsene und Kinder – füllen diese Lücken mit unseren Phantasien. Im Zusammenhang mit dem Tod und in der Atmosphäre von Schock und emotionalem Chaos sind diese Phantasien selten schön und meist gar nicht beruhigend.

Es wäre besser, den Tod klar und eindeutig zu benennen und ehrlicher zu werden, denn wir können ihn am Ende ja doch nicht verhindern. Und vielleicht ist es sogar so, wie beim “Rumpelstilzchen”: Sobald wir seinen Namen nennen, merken wir, dass er nicht an Macht gewinnt, sondern an Macht verliert.

Christine Pernlochner-Kügler

Die I. Neumair Bestattung und mehr GmbH ist Ihr Tiroler Ansprechpartner für traditionelle Bestattungen und moderne Verstorbenenversorgung (Thanatopraxie), Trauerfeier- lichkeiten, Trauerbegleitung und Seminare mit Sitz in Innsbruck.

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